DL-Präsident Stefan Düll zu den Belastungen der Lehrkräfte

Insgesamt steigen die Belastungen im Beruf als Lehrkraft – aufgrund mehrerer Ursachen.  

Der Lehrkräftemangel gefährdet die Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen. Er führt zu stärkerer Belastung, u.a. durch größere Klassen, häufigere Notwendigkeit, für erkrankte Kolleginnen und Kollegen einzuspringen, und unterrichtsferne Tätigkeiten, die sich auf weniger Personen verteilen. Quer- und Seiteneinsteigende, die den Lehrkräftemangel teilweise auffangen sollen, müssen on Top durch Einzelne aus dem Kollegium gezielt betreut werden.  

Heterogenität der Schülerschaft gefährdet die Gesundheit. Die Schülerinnen und Schüler sind in den letzten Jahrzehnten in ihren Leistungen und in ihren Voraussetzungen heterogener geworden – dadurch ist mehr Aufwand und Zeit für die Vorbereitung des Unterrichts nötig. Es muss verstärkt leistungsdifferenziert vorbereitet werden. Dazu kommen unterschiedliche emotional-soziale Kompetenzen, die Kinder und Jugendliche aus ihren Elternhäusern mitbringen. Mitunter geht es statt Unterricht nur noch um die Disziplinierung der Klasse. Diese Situationen können zu deutlich mehr Stressfaktoren im Unterricht führen.  

Renitente oder desinteressierte Eltern gefährden die Gesundheit. Einige Eltern nehmen die Schule und Lehrkräfte eher als Gegner wahr oder zeigen völliges Desinteresse an den schulischen Belangen ihrer Kinder, statt eine Erziehungspartnerschaft zu ihrem Wohle und für ihre Bildung einzugehen. Konflikte um das Verhalten und die Leistungen der Kinder oder fruchtlose Kontaktversuche gegenüber den Eltern belasten Lehrkräfte und Schulleitungen zusätzlich.  

Die bloße Diskussion um die Reduktion der Teilzeitoptionen gefährdet die Gesundheit. Viele Lehrkräfte sehen sich aufgrund der verschiedenen Zusatzbelastungen nicht mehr in der Lage, als Lehrkraft in Vollzeit zu arbeiten und wollen in Teilzeit gehen oder sind es schon. Für sie ist die Diskussion ein Schlag ins Gesicht, aufgrund des Lehrkräftemangels die Teilzeitmöglichkeiten für Lehrkräfte deutlich einzuschränken. Sie sind verunsichert, demotiviert, kündigen innerlich, erkranken und erleiden gar einen Burnout. Dabei wird übersehen, dass eine Lehrkraft in Teilzeit immer noch besser für die Unterrichtsversorgung ist als eine Lehrkraft, die aufgrund von Burnout oder anderen Erkrankungen zeitweise ausfällt oder sogar in den vorzeitigen Ruhestand gehen muss. Eine voll ausgebildete Lehrkraft in Teilzeit ist zudem gegenüber einer nicht oder oberflächlich ausgebildeten “Lehrkraft” in Vollzeit vorzuziehen. Teilzeit-Optionen sind daher eine Form der Gesundheitsfürsorge und der Qualitätssicherung. 

Ein Dienstherr, der seiner Fürsorgepflicht nicht nachkommt, gefährdet die Gesundheit. Er muss die individuelle psychische und physische Gefährdungssituation analysieren, um Maßnahmen der Prävention und Intervention zu ergreifen. Der Aufbau entsprechender Strukturen bzw. arbeitsmedizinischer Dienste steckt hier noch in den Kinderschuhen. Vielfach ist bislang nur die Gefährdungsbeurteilung der Situation von Schwangeren gewährleistet. 

Das Abwälzen der Gesunderhaltungsaufgabe ausschließlich auf die Lehrkräfte gefährdet deren Gesundheit. Häufig werden Lehrkräfte Fortbildungsangebote gemacht, wie sie durch Ansätze wie Achtsamkeit, Meditation, gesunde Ernährung und Sport den Stress des schulischen Alltags ausgleichen und damit resilienter werden sollen. So wichtig eine stressausgleichende Lebensweise ist, es braucht mehr, um gesunde Lehrkräfte zu haben. Lehrkräfte sind auf vielen Ebenen zu entlasten. Schulen brauchen mehr flankierendes Personal in den Bereichen Verwaltung, Sozialarbeit, pädagogische Assistenz und Psychologie, um Lehrkräfte von unterrichtsfernen Aufgaben zu entlasten. Zusätzlich muss in die digitale Infrastruktur und die oft stark sanierungsbedürftigen Schulgebäude investiert werden, um die alltägliche Lehr- und Lernumgebung der Schulen für Kinder, Jugendliche und Lehrkräfte zu verbessern. 

Deutscher Lehrerverband fordert mehr als nur das Aufstellen von Hygienestandards von der KMK

Der Deutsche Lehrerverband und seine Mitgliedsverbände DPhV, VDR, BvLB und KEG sehen die Politik in der Pflicht, im nächsten Schuljahr Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen möglichst guten Verlauf des kommenden Schuljahrs in Zeiten von Corona gewährleisten. Für das neue Schuljahr sollten die wichtigen Erfahrungen aus der Krise für das Bildungssystem nutzbar gemacht werden. Dazu fordert der Deutsche Lehrerverband die Umsetzung des folgenden 10-Punkte-Plans!

Die Lehrerverbände hoffen, dass die Quote der Infektionen gering genug liegt, um Präsenzunterricht mit möglichst geringem Risiko von Infektionsclustern abzuhalten. Nach wie vor darf die bestehende Gefahr eines wieder zunehmenden Infektionsgeschehens allerdings nicht unterschätzt werden.

Der Deutsche Lehrerverband und seine Mitglieder fordern daher deutlich umfassendere Innovationen in grundlegenden pädagogischen, technischen, gesundheitsrelevanten und schulorganisatorischen Rahmenbedingungen, die zu Beginn des neuen Schuljahrs umgesetzt sein sollten, als nur die heute von der KMK vorgestellten Hygienestandards für das neue Schuljahr.

Ihre gemeinsamen Forderungen an die Kultusminister und Landesregierungen für einen unter den jetzigen Rahmenbedingungen möglichst optimalen Schulstart im Herbst hat das Präsidium des Deutschen Lehrerverbandes in folgendem 10-Punkte-Plan zusammengefasst:

10 Punkte-Plan des DL für Unterricht mit (und nach) Corona

  1. Ziel ist der digital unterstützte Präsenzunterricht als Regelfall (Plan A) auf der Basis eines neu zu erarbeitenden didaktischen Konzeptes. Moderner Unterricht verlangt den Einsatz von digitalen Medien. Dazu müssen sämtliche Schulen in den Sommerferien 2020 so instand gesetzt werden, dass alle Lehrkräfte mit allen Schülern mit den zur Verfügung gestellten eigenen digitalen Endgeräten rechtssicher und datenschutzkonform über die digitale Plattform der Schule kommunizieren und lehrplanbezogen interagieren können. Im Notfall kann der digital unterstützte Präsenzunterricht aufgrund der von Kultus- und Gesundheitsbehörden regional beurteilten Infektionslage durch Fernunterricht phasenweise ersetzt werden (Plan B) – mit Teilnahmepflicht, verbindlich zu erreichenden Kompetenzzielen und klaren Vorgaben für Leistungserhebungen und -bewertungen.
  2. Für den digital unterstützten Präsenzunterricht im Schuljahr 2020/21 müssen neben dem Regelunterricht dauerhaft Förderangebote zur Verfügung gestellt werden, um Schülerinnen und Schüler bedarfsorientiert beim Erreichen der angestrebten Bildungsstandards zu unterstützen. Dazu bedarf es der Nutzung aller vorhandenen personellen Ressourcen, um durch größere Lehrerreserven an den Schulen bessere Fördermöglichkeiten und Differenzierungsangebote zu schaffen. Das bedeutet eine schulartspezifische Einstellung zum kommenden Schuljahr über Bedarf bis zu 130 Prozent ebenso wie den Einsatz erheblicher zusätzlicher finanzieller Mittel, um auch kurzfristig deutlich mehr freiwillige Förderangebote zur Verfügung zu stellen.
  3. Der digital unterstützte Präsenzunterricht gemäß Plan A ist angepasst an die jeweilige regionale Infektionslage schulart- und altersspezifisch durchzuführen.
  4. Für die verlässliche Planung des neuen Schuljahrs müssen die Länder die Voraussetzungen für wöchentliche freiwillige Corona-Testungen der Lehrkräfte (und Schüler) an der Schule sowie einen Visierschutz zur Verfügung stellen. Praxistaugliche und aerosolvermindernde Lüftungskonzepte müssen zwei Wochen vor Schulbeginn zur Verfügung stehen, sonst kann kein voller Präsenzunterricht stattfinden. Dies gebietet die Fürsorgepflicht des Staates als Arbeitgeber gegenüber seinen Lehrkräften.
  5. Bildung- und Leistungsstandards dürfen nicht abgesenkt werden, sondern die Curricula und die Prüfungen sind kompetenzorientiert vollständig zu erfüllen. Schulen und Lehrkräfte entscheiden über die Art und Quantität von Fördermaßnahmen vor Ort. Jede Schule erhält dafür ein zusätzliches Budget.
  6. Freiwillige Wiederholungen auch zur Hälfte des Schuljahres sollten als flexibles Instrument ermöglicht und von Schülerinnen und Schülern als solches genutzt werden, um kumulierte Lernrückstände nicht erst am Ende des Schuljahres aufholen zu müssen.
  7. Digitale Sprechstunden zwischen Lehrkräften, Eltern und Schülern sollten in das Unterrichtsdeputat integriert und wöchentlich zweistündig für potentiell versetzungsgefährdete Schüler und deren Eltern sowie für interessierte Eltern und Schüler durchgeführt werden. Dazu ist das Unterrichtsdeputat um mindestens eine Stunde abzusenken.
  8. Das Zusammenwirken von Eltern, Lehrkräften und Schülern ist zu stärken und besser zu organisieren, um Polarisierungen vorzubeugen und um für die gemeinsame Bewältigung von Krisensituationen besser gerüstet zu sein.
  9. Das Referendariat ist in allen Bundesländern auf die ursprüngliche Dauer von zwei Ausbildungsjahren anzuheben, damit Referendare sowohl dem erhöhten Anforderungsprofil im Lehrerberuf genügen wie auch für bedarfsorientierten Förderunterricht für Schüler zur Verfügung stehen.
  10. Lebenslanges Lernen wird nur gelingen, wenn sich Schule als Teil der Gesellschaft inhaltlich mit den Hintergründen der Pandemie auseinandersetzt und Resilienz entwickelt, mögliche weitere Krisen zu bewältigen. Hierfür müssen Schulen neue Inhalts- und Organisationskonzepte entwickeln.

Da bisher niemand voraussagen kann, wie sich nach Schulstart das Corona-Infektionsgeschehen entwickelt, kann es je nach Infektionslage immer wieder z. B. regional oder an einzelnen Schulen oder für einzelne Klassen vorkommen, dass eine Verlagerung des Unterrichts von der Anwesenheit im Schulgebäude auf Distanzlernen mit Hilfe von Online-Medien stattfinden muss. „Ein digital gestützter Präsenzunterricht ermöglicht Flexibilität“, erläutert der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, und fordert: „In der verbleibenden Zeit bis zum Beginn des nächsten Schuljahres müssen alle Schulen in die Lage versetzt werden, mit digitalen Endgeräten rechtssicher und datenschutzkonform über die digitale Plattform der Schule kommunizieren und lehrplanbezogen interagieren zu können. Digital gestützter Präsenzunterricht in den Schulen kann so im Fall der Fälle ziemlich nahtlos auf digital unterstützten Fernunterricht umgestellt werden.“

Jürgen Böhm, Bundesvorsitzender des Deutschen Realschullehrerverbands (VDR), betont: „Im neuen Schuljahr ist es wichtig und vordringlich, eventuelle Defizite, Wissenslücken oder Unterschiede im Lernstand der Schülerinnen und Schüler zu klären und auszugleichen. Es ist eine enorme und sehr verantwortungsvolle Aufgabe, bedarfsorientiert entsprechende Förderangebote und Differenzierungsmöglichkeiten anzubieten.“ Dazu benötige man Lehrkräfte über das übliche Maß und Budget hinaus. Die Ministerien sollten für die Schulen die finanziellen und personellen Ressourcen vorhalten, um z. B. durch integrierte Lehrerreserven auch einen Plan B mit Präsenz- und Fernunterricht im regionalen Notfall schnell und unbürokratisch umsetzen zu können.

Neben den Lerninhalten im Präsenzunterricht und über digitale Wege steht in der aktuellen weltweiten Corona-Krise auch der Gesundheitsschutz der Schulfamilie im Fokus. „Lehrkräfte, Verwaltungspersonal und Schülerinnen und Schüler haben einen Anspruch auf Infektionsprävention! Die Länder und Schulträger müssen im Rahmen ihrer Fürsorgeverpflichtung die Voraussetzungen für wöchentliche freiwillige Corona-Testungen schaffen und praxistaugliche und aerosolvermindernde Lüftungskonzepte vorhalten“, fordert der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung (BvLB), Wolfgang Lambl. „Außerdem sind digitale Sprechstunden zwischen Lehrkräften, Eltern, Ausbildenden und Schülern gerade in Zeiten des Abstandshaltens ein zusätzlicher Weg, um eine bessere Kommunikation zu gewährleisten – damit Lehrkräfte dieses Kommunikationsangebot anbieten können, muss das Unterrichtsdeputat um mindestens eine Stunde abgesenkt werden.“

So notwendig die schnelle Ausstattung in technischer und hygienischer Hinsicht in der aktuellen Situation ist, müssen die Schulen aber andererseits auch langfristig gestärkt werden, um für zukünftige Krisen gerüstet zu sein. „Noch bis vor 20 Jahren waren sich alle Bundesländer erfreulicherweise ungebrochen einig: Schüler brauchen gut ausgebildete Lehrkräfte und der Vorbereitungsdienst umfasste deshalb überall zwei Ausbildungsjahre. Richtig so!“, urteilt die DPhV-Vorsitzende  Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing und fordert eine Rückkehr zum 24-monatigen Referendariat, das in allen Ländern bis auf Bayern z.T. erschreckend heruntergekürzt wurde, und das obwohl die Anforderungen unbestritten stetig gestiegen sind. „Geben Sie sich angesichts der erhöhten Anforderungen an den Lehrerberuf den nötigen Ruck und kehren Sie zum 24-monatigen Referendariat für die kommenden Referendarsjahrgänge zurück“, fordert Lin-Klitzing die Kultusminister der Länder auf, „damit der Lehrernachwachs endlich wieder richtig gut ausgebildet vor die Klassen treten kann, im ersten Ausbildungsjahr für Förderunterricht für Schüler zur Verfügung steht und im zweiten Ausbildungsjahr gut vorbereitet zunehmend Verantwortung für ganze Klassen übernimmt!“

Gerlinde Kohl von der Katholischen Erziehergemeinschaft KEG weist darauf hin, dass Schulen in der Zukunft neue Inhalts- und Organisationskonzepte und Resilienz entwickeln müssen, um mögliche weitere Krisen bewältigen zu können und zum lebenslangen Lernen anzuleiten. „Lebenslanges Lernen bedeutet Bildungsarbeit, die Reflexion und Veränderungsprozesse anregt. Lebenslanges Lernen will Transformation mit Blick auf Nachhaltigkeit und fordert starke Institutionen“, unterstreicht die KEG-Bundesvorsitzende den 10-Punkte-Plan für den Unterricht mit (und nach) Corona des Deutschen Lehrerverbandes.

—————-

Für Stellungnahmen erreichen Sie die Mitglieder des Präsidiums des Deutschen Lehrerverbandes:

DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger: 0160 – 52 75 609 und 030/70 09 47 76 – www.lehrerverband.de

Bundesgeschäftsstelle DPhV, Bundesvorsitzende Prof. Dr. Susanne Lin-Klitzing: 030/ 40 81 67 89 – www.dphv.de

Bundesgeschäftsstelle VDR, Bundesvorsitzender Jürgen Böhm: 0 89 / 55 38 76 und 0151 – 11 71 55 89 – www.vdr-bund.de

BvLB-Bundesgeschäftsstellen: 030/ 40 81 66 50 und 0511/ 21 55 60 70 – www.bvlb.de

KEG-Bundesgeschäftsstelle: 089 / 26 02 47 99 – www.keg-deutschland.de

Für den Inhalt verantwortlich: Geschäftsstelle Deutscher Lehrerverband – Anne Schirrmacher

Sich gesund ernähren, an der frischen Luft bewegen, Gesundheitsinfos richtig deuten: Was lässt sich an Schulen für mehr Gesundheitskompetenz tun?

In der Tat kommt dem Bildungssystem bei der Förderung der Gesundheitskompetenz eine zentrale Rolle zu. Der Deutsche Lehrerverband fordert aus diesem Grund ein für alle Bundesländer verbindliches Gesamtkonzept zur Gesundheitserziehung beginnen in den Kinderhorten und Kindergärten bis hin zum Hochschulbereich.

Dazu braucht es nicht unbedingt die Etablierung eines neuen Schulfachs, aber zumindest verbindliche Vorgaben als Querschnittsaufgabe aller Fächer und in den entsprechenden Lehrplänen. Außerdem erfordert die Förderung von Gesundheitskompetenz eine enge Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule, ohne intensiven Einbezug der Erziehungsberechtigten wird Gesundheitserziehung nicht erfolgreich sein können.

Heinz-Peter Meidinger

Präsident des Deutschen Lehrerverbands