Zu den heute veröffentlichten Ergebnissen von TIMSS 2023 (Trends in International Mathematics and Science Study) äußerte sich DL-Präsident Stefan Düll gegenüber verschiedenen Medien u.a. wie folgt:
Die Ergebnisse sind nicht herausragend, und vor allem die Schülerinnen und Schüler im unteren Leistungsbereich machen uns Sorgen. Mit einer „Glas-Halbvoll“-Perspektive muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Ergebnisse in Mathematik sich seit der Timss-Ausgabe 2019 nicht verschlechtert haben, obwohl die getesteten Jahrgänge in ihrer Schulstartphase von den Corona-Schulschließungen betroffen waren. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Auswirkungen der Schulschließungen in den vergangenen Schuljahren durch den Einsatz der Lehrerinnen und Lehrer in den Grundschulen inzwischen aufgefangen werden konnten. Bei den IQB-Leistungsstudien und den PISA-Ergebnissen hatten wir noch Verschlechterungen zum Vor-Pandemie-Zeitraum gesehen, welche Tendenz sich jetzt verstetigt, müssen wir beobachten.
Sprache ist das A und O, auch im Mathematikunterricht. Aufgaben im sprachlichen Kontext nehmen zu, die klassischen Rechenaufgaben eher ab. Dann kommt es darauf an, wieviel Mathematikverständnisüber das Elternhaus vermittelt wird. Schule baut immer darauf auf, was Kinder in der Familienkultur lernen, erleben und begreifen.
Deutsch als Bildungssprache ist die Grundvoraussetzung für die Leistungen in allen Fächern, auch in Mathematik und Naturwissenschaften, denn ohne gute, differenzierte und sich entwickelnde Sprachkenntnisse können die Kinder Erklärungen und Aufgabenstellungen nicht verstehen. Daher müssen wir besonders unser Augenmerk darauf richten, dass Kinder mit adäquaten Sprachkenntnissen eingeschult werden, damit sie ihre Bildungsbiographie mit Erfolgserlebnissen beginnen können. Wir befürworten daher flächendeckende Sprachtests im Kita-Alter und daraus folgend – wo notwendig – verpflichtende Sprachförderung vor der Einschulung oder ggfs. auch eine Rückstellung bei der Einschulung. Hamburg macht das seit einigen Jahren, mit sehr guten Erfolgen. Bayern zieht nach. Thüringen spricht im Koalitionsvertrag von einem ‚Gesamtkonzept Sprachförderung‘. Kein Bundesland kann es sich leisten, nicht die Sprachdefizite schon vor der Einschulung zu beheben.
Das betrifft nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund. Eltern aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft sind vom Arbeitsalltag so gestresst, dass sie auf elektronische Medien als Babysitter zurückgreifen, statt sich emotional und sprachlich mit ihren Kindern auseinanderzusetzen, was sich auch im sozialen Umgang der Kinder untereinander bemerkbar macht. Der Kita-Besuch vor der Einschulung und die Arbeit der Kolleginnen und Kollegen dort zeigt positive Auswirkungen in Bezug auf Sprache und soziale Kompetenzen.
Kinder in der Grundschule brauchen vor allem Zeit, Förderung und Übungsmöglichkeiten für die Grundfähigkeiten des Lesens, Schreibens und Rechnens. Wenn sie diese Grundfähigkeiten nicht auf dem Mindestlevel erreichen, spüren sie die Auswirkungen in ihrer gesamten Bildungs- und Berufskarriere. Grundschullehrkräfte brauchen für diese Förderung Zeit. Und wenn die Klassen in der Grundschule sehr leistungsheterogen sind und es Schülerinnen und Schüler mit sozio-emotionalen Schwierigkeiten gibt, dann brauchen die Kolleginnen und Kollegen Unterstützung durch flankierendes Personal im Bereich Schul-Assistenz, Schulsozialarbeit und Schulpsychologie.
Für den Bereich der Digitalisierung ist die Grundschule ist nicht der Ort, in dem jedes Kind ein Tablet braucht. Aber: Kinder haben zu Hause immer früher ein digitales Endgerät zur Verfügung, da viele Eltern es als eine Art digitalen Schnuller einsetzen. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Man kann Geräte gezielt ausgeben, um damit etwas Sinnhaftes zu machen.
Wir beobachten auch die Abnahme im Bereich der leistungsstarken Kinder und Jugendlichen mit Sorge. Bei aller sehr wichtigen Förderung derer, die die Mindeststandards nicht erreichen, dürfen die Kinder, die uns auf den ersten Blick keine Sorgen machen, nicht einfach nur nebenherlaufen. Auch sie verdienen Förderung und Aufmerksamkeit auf ihrem Level.
Bildungs- und Finanzpolitik muss sich von der Ansicht verabschieden, der nächste technische Kniff – seit neustem KI – würde dabei helfen, den personellen und finanziellen Mangel im Bildungsbereich in Leistungserfolg bei den Kindern und Jugendlichen zu verwandeln. Leistungsvergleichsstudien sind wichtig, aber die Ergebnisse mit den großen Anteilen an Kindern und Jugendlichen, die die Mindestlevel nicht erreichen, zeigen uns, dass wir in Deutschland mehr in Bildung investieren müssen und das bedeutet in Köpfe und nicht allein in Digitalisierung. An dieser Tatsache wird auch die nächste und übernächste Leistungsstudie nichts ändern. Sie kann uns dann höchstens aufzeigen, ob wir in Sachen Investition und Förderung auf dem richtigen Weg sind.
Das neue Startchancenprogramm ist ein erster Anfang, allerdings: Nur weil ich große Summen Geld ausstreue, werde ich nicht sofort Erfolg haben. Die Schulen müssen planen, Personal einstellen, etwa Sozialpädagogen. Sie müssen Konzepte ausarbeiten. Da ist unheimlich viel miteinander zu reden, zu entscheiden. Und dann erst wird finanziert. Dafür brauchen Schulen Leitungszeit. Bis signifikante Verbesserungen sichtbar werden, wird es lange dauern.
Eigentlich hat Deutschland ein stabiles, gut funktionierendes Schulwesen. Doch es leidet an immer neuen Herausforderungen, sei es durch Digitalisierung, sei es durch die Flüchtlingswellen. Hinzu kommt: Es fehlen Lehrkräfte, es gibt kaum flankierendes Personal, die Digitalisierung läuft nur halbherzig, es gibt einen Sanierungsstau bei den Gebäuden, den Schulen werden neue Aufgaben zugewiesen, ohne alte zu nehmen. Das wirft die Schulen in ihren Anstrengungen zurück.