Bildungsföderalismus

Harte Kritik an der Kultusministerkonferenz hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, geäußert. Er betonte: „Es ist absolut frustrierend: Die Bildungsqualität in Deutschland muss gesichert und verbessert und gleichzeitig eine hohe Vergleichbarkeit angestrebt werden, um den in die Kritik geratenen Bildungs­föderalismus auf eine sichere neue Grundlage zu stellen. Trotzdem schaffen es unsere Schulministerinnen und Schulminister Sitzung für Sitzung nicht, dies mit einem Grundsatzbeschluss über einen Bildungsstaatsvertrag in Verbindung mit der Einrichtung des im Koalitionsvertrag vereinbarten nationalen Bildungsrats umzusetzen.“

Der Verbandsvorsitzende verwies darauf, dass in allen Bundesländern das demoskopische Urteil über die Zuständigkeit der Bundesländer für Bildungsfragen miserabel ausfalle. Ursachen dafür seien tatsächliche Missstände, für die zwar einzelne Bundesländer mehr Verantwortung trügen als andere, für deren Beseitigung aber alle gemeinsam in der Pflicht seien. Meidinger nannte als Beispiele die enormen Unterschieden bei Schülerleistungs­vergleichen zwischen Bundesländern im Umfang von über zwei Lernjahren, die bereits 2017 sogar vom Bundesverfassungsgericht festgestellte Unvergleichbarkeit der deutschen Länderabiture, der Wildwuchs an Schularten und Lehramtsstudiengängen sowie die dadurch erschwerte Mobilität zwischen den Bundesländern.

Er bekräftigte: „Wir brauchen einen Bildungsstaatsvertrag, um die Bildungsqualität in Deutschland durch konkrete, detaillierte Festlegungen und Beschlüsse beispielsweise hinsichtlich vergleichbarer Abschlussprüfungen auf hohem Niveau zu regeln. Nur so werden wir der Verpflichtung, unseren Kindern und Jugendlichen vergleichbare Lebens- und Zukunftschancen durch bestmögliche Bildung zu bieten, gerecht werden können!“

Der DL-Präsident ließ allerdings keinen Zweifel an seiner Überzeugung aufkommen, dass die Zuständigkeit für Bildung am besten bei den Bundesländern aufgehoben sei.

Voraussetzung dafür sei aber, dass es einen funktionierenden Wettbewerbsföderalismus gebe und dass man sich bei KMK-Beschlüssen nicht regelmäßig mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zufrieden gebe. Meidinger appellierte in diesem Zusammenhang auch an die Ministerpräsidenten und die Parlamente der Länder, ihrer Verantwortung für diese riesige Zukunftsaufgabe gerecht zu werden und parteipolitische Erwägungen hintanzustellen.

Für Stellungnahmen erreichen Sie DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger unter 0160 – 52 75 608.

Für den Inhalt verantwortlich: Geschäftsstelle Deutscher Lehrerverband – Anne Schirrmacher

Bildung in Deutschland – Diagnosen und Perspektiven des Deutschen Lehrerverbandes

Zur Diskussion gestellt

  1. Das allgemeinbildende und berufsbildende Bildungswesen in Deutschland steht vor Herausforderungen, die seit geraumer Zeit erkennbar sind, die in ihrer Brisanz aber immer noch nicht hinreichend ernstgenommen werden.

1.1 Die Pluralisierung und Individualisierung der Lebensstile lässt herkömmliche Milieus mehr und mehr verschwinden und neue entstehen; zugleich harmonisieren sich die Bildungserwartungen der Eltern in Richtung formal höherer Bildungsabschlüsse. Diese Pluralisierung geht einher mit einem veränderten Verständnis der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und in der Folge mit einem veränderten Verständnis von häuslicher Erziehung.

1.2 Die öffentliche Bildungsdebatte wird in erheblichem Maße mitbestimmt von Publizisten, Wirtschaftsorganisationen (z.B. OECD), Stiftungen und Bildungswissenschaftlern, die sich einer Vereinheitlichung des Bildungswesens, einer Beschränkung föderaler Kompetenzen, einer bloßen Steigerung formal höherer Bildungsabschlüsse, einer fortschreitenden Verstaatlichung von Erziehung sowie einer Ausrichtung von Bildung auf messbare Ziele und verwertbare Inhalte verschrieben haben.

1.3 Die Ergebnisse mehrerer Landtagswahlen der Jahre 2008 bis 2012 weisen bildungspolitisch in Richtung einer Egalisierung von Bildungsstrukturen und Bildungsinhalten. Herkömmliche bildungsbürgerliche Haltungen und Vorstellungen von Bildung (Leistungsprinzip, Differenzierung usw.) finden in immer weniger Parteien Widerhall.

1.4 Die ungeregelte Migrationspolitik der Bundesrepublik der vergangenen Jahrzehnte hat für die Bildungseinrichtungen eine je nach Region zum Teil schwer integrierbare, zum Teil nicht integrationswillige Schülerpopulation geschaffen, mit der nicht nur der Sozialstaat, sondern vor allem das Schul- und Berufsbildungswesen überfordert sind.

1.5 Mitbedingt durch zurückliegende bildungspolitische Setzungen, durch unterschiedliche demographische Entwicklungen und durch unterschiedliche wirtschaftsrelevante Standortfaktoren droht Deutschland eine zweifache Teilung: demographisch eine West-Ost-Teilung, ökonomisch und bildungspolitisch eine Süd-Nord-Teilung.

1.6 Das Bildungswesen in Deutschland ist in einigen Bereichen und manchen deutschen Ländern chronisch unterfinanziert. Im internationalen Vergleich gehört Deutschland beim Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt keineswegs zur Spitze. Der demographische Wandel ist diesbezüglich als Chance zu sehen. Die zurückgehenden Schülerzahlen müssen Anlass für eine verbesserte Finanzierung von Bildung sein. Demographisch begründete Sparmaßnahmen sind völlig fehl am Platz. Gerade auch im Interesse des Erhalts eines differenzierten Bildungsangebots und einer verbesserten individuellen Förderung muss in die Bildung pro Schüler mehr Geld investiert werden.

1.7 Die Bildungspolitik und die Bildungsdebatte in Deutschland sind einseitig fixiert auf das allgemeinbildende Schulwesen und auf das Hochschulwesen. Der große Sektor der beruflichen Bildung erscheint öffentlich als völlig unterbewertet. Dabei fährt Deutschland – wie Österreich und die Schweiz – ausgesprochen gut mit seinen Strukturen beruflicher Bildung. Deshalb gilt: Eine formale „Verhochschulung“ der Gesellschaft wird der Forderung nach Höherqualifizierung nicht gerecht. Auch in Zukunft werden ca. zwei Drittel der jungen Menschen über die berufliche Bildung den Einstieg in einen Beruf finden. Diese jungen Menschen und deren Qualifikationen müssen stärker in den Focus der politischen und der bildungswissenschaftlichen Debatten gerückt werden.

  1. Eine Nation, die kulturell, wirtschaftlich und politisch bestehen will, muss in Zeiten fortschreitender, global bedingter Pluralisierungen ein differenziertes und qualitativ anspruchsvolles Bildungswesen vorhalten. Der Bedarf an Pluralität und an unterschiedlichen Profilen unterschiedlicher Bildungseinrichtungen ergibt sich aus der großen Bandbreite der Begabungen und Neigungen junger Menschen sowie aus der Heterogenität der Qualifikationsanforderungen und Lebensentwürfe.

2.1 Wie in anderen gesellschaftspolitischen Bereichen muss auch in Fragen der Bildung Freiheit Vorrang vor Gleichheit haben. An der Unterschiedlichkeit und an der Vielfalt von Menschen ändern kein Bildungssystem und kein noch so gestalteter Unterricht etwas. Es bleibt das Dilemma des pädagogischen Egalitarismus: Egalitäre Schulpolitik erzielt Gleichheit üblicherweise durch Absenkung des Anspruchsniveaus. Wer aber die Ansprüche senkt, der bindet gerade junge Menschen aus schwierigeren Milieus in ihren eingeschränkten Möglichkeiten fest. Selbst ein hochindividualisierender Unterricht zementiert Unterschiede: Je mehr Schüler ihren individuellen Möglichkeiten entsprechend gefördert werden, desto mehr schlägt die individuelle Begabung durch. Bildung ist im übrigen keine Veranstaltung zur Schaffung von Gleichheit, sondern zur Förderung von verschiedenen  Begabungen und Neigungen.

2.2 Die Behauptung, weltweit habe sich die Einheits- und Gesamtschule als überlegen durchgesetzt, ist völlig unzutreffend. Für Deutschland gilt: Gesamtschule in Deutschland hat trotz privilegierter Personal- und Sachausstattung Jahrzehnte der Erfolglosigkeit hinter sich. Nicht unproblematisch ist auch der Trend zu einem zweigliedrigen Schulwesen. In einem solchen Schulwesen, vor allem in dessen nicht-gymnasialem Zweig, kommt es zu einer problematischen Heterogenisierung der Schülerschaft. Folge ist, dass jeweils ein beachtlicher Teil der Schüler überfordert und ein anderer unterfordert bleibt.

2.3 Deutschland braucht keine profillosen, vereinheitlichten Schulformen, sondern möglichst vielgliedrig differenzierte und profilierte allgemeinbildende und berufsbildende Schulformen. Ein solches Schulwesen muss noch mehr zur Chiffre für Individualisierung werden. Letzteres ist möglich, wenn man den Schulen über eine volle Lehrerversorgung hinaus einen nennenswerten Zuschlag an Lehrerstunden gewährt. Mit diesem Zuschlag kann man in Krankheitszeiten Unterrichtsausfall vermeiden; in den anderen Wochen Förderkurse für Spitzen- und für Risikoschüler einrichten. Individualisierung darf freilich nicht zu einer Auflösung der je eigenen Profile unterschiedlicher Schulformen und Bildungsgänge führen.

2.4 Die Durchlässigkeit des Bildungswesens ist ein hoher Wert. Es ist allerdings zu unterscheiden zwischen horizontaler und vertikaler Durchlässigkeit. Die horizontale Durchlässigkeit zwischen verschiedenen Bildungseinrichtungen kann nur eine eingeschränkte sein, weil sie in größerem Stil nur möglich ist, wenn die Profile paralleler Bildungseinrichtungen vereinheitlicht werden. Wichtiger ist die vertikale Durchlässigkeit. Das heißt: Auf jeden Bildungsabschluss muss ein Anschluss an weiterführende Bildung möglich sein. Dies zeigt beispielhaft das schulische Berufsbildungssystem.

2.5 Vielgliedrigkeit, Differenzierung und Profilbildung muss sich in den curricularen Inhalten niederschlagen. Eine bloße Orientierung an inhaltlich nicht näher beschriebenen Kompetenzen provoziert ein Verwischen der Profile. Ansonsten sind konkrete Inhalte Voraussetzung für das Entstehen kognitiver Strukturen, für die Förderung fachübergreifenden Denkens, für mündiges Urteilen, für anspruchsvolle Kommunikation und für ideelle Orientierung. Die sog. Entrümpelungsdebatte ist ein Irrweg.

2.6 Bei aller notwendigen Differenzierung der Bildungslandschaft und der Bildungsabschlüsse müssen die Ansprüche über verschiedene Schulformen und über alle deutschen Länder hinaus im Sinne der Gleichbehandlung vor dem Gesetz (GG Artikel 3) und im Sinne „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ (GG Artikel 72; vor 2006: „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“) vergleichbar sein. Es ist vorrangig die Aufgabe der Selbstkoordinierungsgremien der deutschen Länder, insbesondere der MPK und der KMK, diese Vergleichbarkeit unter Wahrung der Grundsätze des kooperativen und kompetitiven Föderalismus auf anspruchsvollem Niveau zu gewährleisten. Dazu bedarf es gerade im allgemeinbildenden Bereich keiner Kompetenzen des Bundes; dieser würde hier eher nach unten nivellierend wirken. Allerdings müssen die 16 deutschen Länder mehr als bislang auf bildungspolitische Eitelkeiten verzichten. Eines erheblich höheren Maßes an Koordinierung bedarf freilich die berufliche Bildung. Hier sind die Zuständigkeiten zu sehr atomisiert – auf mehrere Bundesministerien, auf Landesministerien und auf Kammern.

  1. Ein Bildungswesen muss gerecht sein. Gerecht ist es aber nur, wenn es Chancen zur eigenverantwortlichen Nutzung der Bildungsangebote und zur individuellen Leistungsentfaltung bietet. „Bildungsgerechtigkeit“ darf nicht darin bestehen, dass Strukturen, Inhalte und Anforderungen egalisiert werden. Ein gerechtes Bildungswesen kann nur ein Bildungswesen sein, das am Leistungsprinzip orientiert ist.

3.1 Bildung ist ohne Anstrengung sowie ohne die Investition von Zeit und  Energie nicht zu haben. Die seit Jahren von „progressiven“ Pädagogen suggerierte Vorstellung, Unterricht müsse so gestaltet werden, dass das Lernen stets „Spaß“ machen muss, ist falsch. Falsch ist auch die Behauptung, viele Heranwachsende seien durch die Schule überfordert. Dies mag zutreffen, wenn Kinder in die für sie falsche Schullaufbahn gedrängt wurden. Selbstverständlich ist auch eine Drill-Pädagogik fernösterlicher Ausprägung der falsche Weg. Aber in Deutschland hat sich die Klage über eine Überforderung der Schüler zuletzt bisweilen verselbständigt.

3.2 Wer das Leistungsprinzip in den Bildungseinrichtungen untergräbt, setzt eines der revolutionärsten demokratischen Prinzipien außer Kraft. In unfreien Gesellschaften sind Vermögensverhältnisse, familiäre Herkunft, Gesinnung oder Geschlecht Allokationskriterien. Freie Gesellschaften haben an deren Stelle das Kriterium Leistung vor Erfolg und Aufstieg gesetzt. Dies ist die große Chance zur Emanzipation für jeden Einzelnen.

3.3 Jeder soll seines Glückes Schmied sein können. Mit Ellenbogengesellschaft oder sozialer Kälte hat das nichts zu tun. Vielmehr ist auch der Sozialstaat zugunsten Benachteiligter, Kranker und Alter nur realisierbar mit der millionenfachen Leistung und Anstrengung der Leistungsfähigen. Sozialstaatlichkeit ist nur mit dem Leistungsprinzip machbar. Das Sozialprinzip kann nicht über das Leistungsprinzip gestellt werden.

3.4 Deutschland braucht Eliten, Demokratie darf nicht zum Diktat des Durchschnitts werden. Wer Elite sein kann, darüber gilt es auch in der Bildungspolitik zu streiten. Bloße Macht-Elite oder blanker Geldadel kann es nicht sein. Eine Leistungs- und Verantwortungselite muss es sein, die zugleich Reflexions- und Werte-Elite ist. Vor einem solchen Hintergrund ist selbst Ungleichheit gerecht – nämlich dann, wenn Elite allen nützt, das heißt, wenn das Handeln von Eliten zu einem gesamtgesellschaftlichen Mehrwert führt. Wir brauchen zudem ein Verständnis von Elite, bei dem neben dem Karrieregedanken der Gedanke des Dienens und des Respekts eine maßgebliche Rolle spielt. Elite heißt auch Verdient-Machen durch Dienen am Gemeinwohl.

3.5 Beim Start in die Bildungslaufbahn sollten alle gleiche Chancen haben, gleiche Zielchancen kann es nicht geben. Ziel aller öffentlichen Bildungsanstrengungen muss die Integration bzw. Inklusion aller Heranwachsenden in Gesellschaft und Gemeinwesen sein; die Wege dorthin können aber nur individuelle sein. Zugleich gilt: Chancen sind keine Vollkasko-Garantien, zu Erfolgsaussichten können sie erst durch eigene Anstrengung werden. Der Staat hat dabei eine Bringschuld, das heißt, er muss ein möglichst leistungsfähiges Bildungswesen vorhalten, die Adressaten haben eine Holschuld.

3.6 Verschiedenheit ist keine Ungerechtigkeit. Mit „Selektion“ hat dies nichts zu tun. Außerdem gilt: Das Prinzip Leistung und das Prinzip Auslese sind die beiden Seiten ein und derselben Medaille. Differenzierung ist eine notwendige Voraussetzung für individuelle Förderung von jungen Menschen. Die anti-thetische Formel „Fördern statt Auslesen“ ist insofern falsch.

3.7 Entgegen vielerlei Behauptungen ist das Bildungswesen in Deutschland sozial nicht ungerechter als das Bildungswesen vergleichbarer Nationen. Vielmehr gilt: Die zahlreichen Schul- und Hochschulgründungen der vergangenen Jahrzehnte kamen gerade bildungsfernen Schichten zugute. Zum Beispiel gibt es in Deutschland rund 50 verschiedene Wege zu einer Studierberechtigung. Es war außerdem das gegliederte Schulwesen, das die Abiturientenquote binnen 40 Jahren verfünffacht hat. Die Behauptung, durch die Integrierte Gesamtschule könne mehr sozialer Ausgleich stattfinden, ist falsch. Langzeitstudien belegen: Der Besuch einer Gesamtschule schafft keineswegs bessere soziale Aufstiegsmöglichkeiten. Des weiteren: Der Anteil der Studienberechtigten, die zuvor kein Gymnasium besuchten, ist immer größer geworden und hat in manchen deutschen Ländern die 50 Prozent überschritten. Nutznießer dieser Entwicklung sind gerade auch Kinder aus nichtakademischen Elternhäusern. Zudem gilt: Als Maßstab für die soziale Durchlässigkeit eines Bildungswesens ist PISA ungeeignet. PISA untersucht Fünfzehnjährige inmitten ihrer Bildungsbiographie, stellt für dieses Alter den Gymnasiastenanteil fest und berücksichtigt dabei nicht, welchen Bildungsabschluss die betreffende Population tatsächlich macht.

3.8 Es ist ein sozialpolitisch gebotenes, dem Prinzip der Subsidiarität geschuldetes Ziel, das Bildungsangebot für sozial schwächere Kinder zu verbessern. Um die Zahl der sog. Bildungsverlierer weiter zu reduzieren und um die Barriere der Selbstselektion überwinden zu helfen, muss es noch mehr als bisher gelingen, „bildungsferne“ Schichten zum Besuch weiterführender Bildungseinrichtungen zu motivieren. Eine besondere Aufgabe kommt dabei der vorschulischen Erziehung und der Bildungsberatung zu.

  1. Qualität und Quote stehen gerade im Bereich Bildung oft in einem reziproken Verhältnis. Priorität müssen Fragen der Qualität von Bildung und Ausbildung haben. Ein blankes Quotendenken wäre planwirtschaftlich.

4.1 Viele der deutschen Schul- und Berufsabschlüsse unterhalb der formal-akademischen Schwelle haben den gleichen Rang wie andernorts Hochschulabschlüsse. Es ist anzunehmen, dass das, was andere Staaten als „Abitur“ oder als „Studium“ deklarieren, in Deutschland oft nicht einmal einer Fachschulausbildung entspräche. Daher sind die Akademiker-Quoten international nicht vergleichbar.

4.2 Es gibt keine Korrelation zwischen Studierberechtigten-Quote und wirtschaftlicher Prosperität. Dort wo man in Europa die niedrigsten Abiturienten-Quoten hat, hat man zugleich die besten Wirtschaftsdaten. Ein wichtiges bildungspolitisches Kriterium wird ebenfalls häufig übersehen, nämlich das Ausmaß an Jugendarbeitslosigkeit. Hier haben oft sogar vermeintliche PISA-„Sieger“ mit Gesamtschulsystemen eine Quote von 20 Prozent und mehr. In Ländern mit gegliederten Schulsystemen und dualer Berufsbildung dagegen sind es deutlich unter zehn Prozent: in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. All dies ist vor allem Verdienst des dualen Systems der beruflichen Bildung.

4.3 Auch die angebliche soziale Durchlässigkeit des Bildungswesens anderer Staaten ist oft ein statistisches Artefakt: Wenn in Finnland die Tochter eines Industriearbeiters Krankenschwester wird, dann gilt sie als Paradebeispiel für die soziale Durchlässigkeit des dortigen Bildungswesens. Wenn in Deutschland die Tochter eines Facharbeiters Krankenschwester wird, gilt sie als angeblich schreckliches Beispiel für die mangelnde soziale Durchlässigkeit unseres Bildungswesens.

  1. Wider die Selbstverleugnung und Selbstvergessenheit in der Bildungspolitik!

Bildungspolitik in Deutschland neigt mittlerweile – in unterschiedlichen Nuancierungen – quer durch alle Parteien dazu, tradierte und weltweit angesehene Bildungsstrukturen unter dem Diktat etwa von EU- oder OECD-Vorgaben über Bord zu werfen. Dies gilt für die Vielgliedrigkeit des allgemeinbildenden Schulwesens, für das hochdifferenzierte Förderschulwesen, für die duale Berufsbildung und für die Hochschulen (siehe „Bologna“). Da es sich dabei stets um weitreichende Strukturveränderungen handelt, droht auf Jahre hinaus eine Destabilisierung des deutschen Bildungswesens.

  1. Conclusio

Ziele, Inhalte und Strukturen eines Bildungswesens müssen einer ständigen Überprüfung unterworfen werden. Reformen und Veränderungen sind aber kein Wert an sich. Vielmehr gilt: Bewährtes ist zu bewahren und behutsam weiterzuentwickeln. Von erfolglosen und – gemessen am Erfolg – zu kostspieligen Strukturen sollte man sich trennen.

Für den Deutschen Lehrerverband (DL) gelten daher als maßgebliche bildungspolitische Grundsätze:

–      Differenzierung geht vor Egalisierung.

–      Leistungsorientierung geht vor Gefälligkeitspädagogik.

–      Qualität geht vor Quote.

Oktober 2012 – Präsidium Deutscher Lehrerverband