Gewalt an Schulen – modisches Medienthema oder reales Problem?

von Heinz-Peter Meidinger

In den letzten Wochen und Monaten hat – ausgelöst durch eine Messerattacke auf eine Grundschullehrkraft durch einen Schüler sowie Fälle religiösen Mobbings – das Thema „Gewalt an deutschen Schulen“ in der bundesdeutschen Medienlandschaft Hochkonjunktur gehabt.

Schwierig gestaltet sich eine sachliche Analyse der Thematik allerdings schon deshalb, weil dabei eine Reihe teilweise recht unterschiedlicher Sachverhalte munter durcheinander gemischt werden:

Fälle physischer und psychischer Gewaltanwendung zwischen Schülern und Schülergruppen, das Mitbringen gefährlicher Gegenstände in Schulen, Aggressivität gegenüber Lehrkräften, Integrationskonflikte,

Cybermobbing sowie Antisemitismusvorfälle und religiöses Mobbing.

Große Aufmerksamkeit erregte zudem die Tatsache, dass an einigen Schulen nicht nur in sozialen Brennpunkten inzwischen eigene private Wachdienste eingesetzt werden.

Anstieg der Gewaltvorfälle an Schulen

Als ich als deshalb vor wenigen Wochen als Präsident des Deutschen Lehrerverbands in einem Interview für die BILD-Zeitung darauf hinwies, dass insbesondere an Schulen mit einer ungünstigen sozialen Zusammensetzung der Schülerschaft sowie einem hohen Migrationsanteil amerikanische Zustände drohten, wenn nicht gegengesteuert würde, gab es zunächst einmal Abwiegelungsversuche.

Christian Pfeiffer, der ehemalige niedersächsische SPD-Justizminister, hielt im Öffentlichen Fernsehen mit dem Argument dagegen, dass Fälle statistisch erfasster Gewaltvorfälle an Schulen seit Jahrzehnten rückläufig seien.

Verschwiegen hat er dabei allerdings zweierlei:

  1. Es gibt gar keine aktuellen bundesweiten Erhebungen, die eine klare Auskunft darüber geben könnten, weil es – und das betrifft auch Fälle religiösen Mobbings – dazu keine bundesweite Meldepflicht gibt. Es gibt zwar für bestimmte Vorfälle Statistiken in den Bundesländern, aber die sind lückenhaft und werden nach sehr differierenden Kriterien erstellt.
  2. Für die Länder, wo es aktuelle Zahlen gibt, zeichnet sich allerdings seit zwei Jahren eine deutliche Trendwende ab. Alles deutet darauf hin, dass Gewaltvorfälle an Schulen nach Jahrzehnten des Rückgangs nunmehr wieder deutlich ansteigen.

Während die Zahl angezeigter Gewalttäter zuvor stets zurückgegangen war, stieg sie nunmehr allein an bayerischen Schulen von 2015 bis 2017 um fast 20 Prozent an. Ähnlich die Entwicklung in Nordrhein-Westfalen und Berlin, für die ebenfalls ganz aktuelle Zahlen vorliegen. Laut polizeilicher Kriminalstatistik stieg die Zahl der Straftaten an Schulen in NRW von 25596 (2015) auf 27541 (2017). Gleich nach Diebstahldelikten folgen dabei Körperverletzungen (plus 15 Prozent) und Sachbeschädigungen. Vergleichbar die Entwicklung in Berlin: Dort konzentriert sich die Mehrzahl der Gewalttaten auf wenige Problembezirke wie Marzahn-Hellersdorf, Neukölln und Lichtenberg und dort wiederum auf Schulen mit einer extrem einseitigen Schülerzusammensetzung und einem übergroßen Migrationsanteil.

Zwei Vorfälle standen in den letzten Wochen besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Die Messerattacke auf eine Lehrerin in Baden-Württemberg und das Mobbing eines jüdischen Kindes durch muslimische Jugendliche. Auch wenn beides Extrembeispiele sein mögen, Einzelfälle sind es nicht. In Niedersachsen hat eine Schülerbefragung ergeben, dass rund 10 Prozent der Schüler öfter Messer in die Schule mitbringen. Auch wenn dahinter meist keine konkreten Aggressionsabsichten stehen, erhöht sich dadurch die Gefahr der Eskalation von Konflikten um ein Vielfaches. Auch die Zahl der Attacken mit den inzwischen in Supermärkten leicht erwerbbaren Pfefferspraydosen hat 2017 signifikant zugenommen.

Mit Sicherheit besteht noch kein Anlass für Eltern, sich Sorgen zu machen, wenn man am Morgen sein Kind zur Schule schickt. Angesichts von 40 000 Schulen in Deutschland sind die Gewaltvorfälle im internationalen Vergleich noch relativ gering.

Es gilt aber auch hier, so wie generell, den Anfängen von Anfang an konsequent zu wehren.

Es besteht Handlungsbedarf

Dazu gehört aus Sicht des Deutschen Lehrerverbands, zum einen endlich eine bundesweit einheitliche Meldepflicht für Vorfälle psychischer und physischer Gewalt einzuführen, zweitens von Seiten der Politik besonders betroffenen Schulen mehr personelle Unterstützung zur Verfügung zu stellen, also z.B. Sozialarbeiter und Psychologen, drittens solche Vorfälle aus falsch verstandener Angst um den Ruf der Schule nicht unter den Teppich zu kehren und den Opfern, seien es Schüler oder Lehrkräfte, mit allen Kräften zu helfen, viertens mehr Sanktionsmöglichkeiten in Bezug auf die Täter zu schaffen und diese auch konsequent anzuwenden und schließlich auch dem Thema Gewaltprävention sowohl schulintern als auch bei Fortbildungen einen deutlich höheren Stellenwert einzuräumen.

Klar ist aber auch: Schule ist Spiegelbild der Gesellschaft und beim Thema Gewalt spiegeln sich Integrationsdefizite, soziale Schieflagen, die Segregation sozialer und ethnischer Gruppen und ungelöste gesellschaftliche Konflikte an Schulen. Schule ist gefordert,- ohne Unterstützung der Politik ist sie aber letztlich machtlos.

Noch sind wir von amerikanischen Verhältnissen weit entfernt, wo Schulen mit Sicherheitsschleusen, eigenem Wachpersonal, elektrischen Zäunen und regelmäßigen Schultaschenkontrollen zum Teil zu Hochsicherheitstrakten umgebaut wurden. Wenn wir aber nicht wollen, dass diese Zustände näher rücken, besteht akuter Handlungsbedarf.