„Außer warmen Worten nichts zu bieten“

Deutscher Lehrerverband kritisiert Konzeptlosigkeit der Bildungspolitik bei der Integration ukrainischer Flüchtlingskinder

Zutiefst enttäuscht hat sich der Präsident des Deutschen Lehrerverbands. Heinz-Peter Meidinger, über die gestrige gemeinsame Erklärung des Kultusministerkonferenz zur Integration von ukrainischen Flüchtlingskindern ins deutsche Schulsystem geäußert.

„Außer einigen warmen Worten und dem geplanten leichteren Zugang von ukrainischen Lehrkräften in den deutschen Schuldienst hat diese KMK-Presseerklärung nichts zu bieten, insbesondere keinerlei Aussagen darüber, woher die finanziellen und vor allem personellen Ressourcen für die Aufnahme von aktuell mehr als Hunderttausend schulpflichtiger ukrainischer Kinder kommen sollen. Es fehlt letztendlich nach wie vor ein Masterplan, ein dauerhaftes Gesamtkonzept, das für eine gelingende Integration erforderlich ist.“

Der DL-Präsident erinnerte daran, dass die KMK-Präsidentin vor kurzem selbst noch die Prognose abgegeben habe, dass bis zu 400 000 Flüchtlingskinder an deutschen Schulen aufgenommen werden müssten und dafür 24 000 zusätzliche Lehrkräfte erforderlich seien. „Leider findet sich in der jetzigen Erklärung kein Wort dazu, durch welche Notmaßnahmen und Zusatzinvestitionen dieser Mehrbedarf zukünftig sichergestellt werden kann. Auch wenn der Deutsche Lehrerverband eher von deutlich geringeren Zahlen ausgeht, bleibt eine riesige Bedarfslücke von mindestens 10 – 15 000 Lehrkräften!“, betonte der Verbandsvorsitzende.

Man fürchte deshalb, so Meidinger, dass es wie schon in früheren Krisenzeiten auf ein „Durchgewurstel“ an den Schulen hinauslaufe, d.h., dass die Mehrbelastungen weitgehend auf dem Rücken der Lehrerkollegien vor Ort abgeladen werden.

Er ergänzte: „Derzeit wird der eigentliche Lehrkräfte-Mehrbedarf für die rund 100 000 ukrainischen Schulkinder in Deutschland dadurch kaschiert, dass ein großer Teil einzeln oder in kleinen Gruppen quasi als Gastschüler in bestehende Regelklassen aufgenommen worden ist und für diese nur rudimentär deutscher Sprachzusatzunterricht vorgehalten wird. Wenn ab nächsten Schuljahr, so wie die KMK es plant, die dauerhafte Integration mit intensivem verpflichtenden deutschen Sprachunterricht das Standardmodell werden soll, muss die Bildungspolitik aber jetzt schon sagen, wie sie das sicherstellen will, ohne dass das auf Kosten der Bildungsqualität insgesamt geht. Löcher stopfen, indem man neue Löcher schafft, ist keine Lösung!“

Abschließend erneuerte der DL-Vorsitzende seine bereits beim Ukrainegipfel im Kanzleramt vor drei Wochen erhobene Forderung, dass sich auch der Bund bei der Bewältigung dieser nationalen Herausforderung mit eigenen Programmen beteiligen muss. Alleine könnten die Länder dies nicht stemmen.

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Für Stellungnahmen erreichen Sie DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger unter 0160 – 52 75 608.

Für den Inhalt verantwortlich: Geschäftsstelle Deutscher Lehrerverband – Anne Schirrmacher

Rezension: Schule als Konfliktfeld und Integrationsagentur

von Heinz-Peter Meidinger

Joachim Wagner: Die Macht der Moschee – Scheitert die Integration am Islam? Herder-Verlag 2018, 24,80 Euro gebunden

Gerade wenn es um die Integration von Zuwanderern und Flüchtlingen aus muslimisch geprägten Ländern geht, dominieren bei vielen Autoren in zahlreichen Publikationen vorgefasste Meinungen und Standpunkte, sei es ein grundlegender Optimismus, dass wir das schon schaffen werden, oder sei es eben auch die unerschütterliche Überzeugung, dass die Integration scheitern werde. Entsprechend werden diese Bücher auch von der jeweils eigenen Anhängerschaft rezipiert und dienen damit lediglich der Verstärkung vorhandener Standpunkte.

Das sehr sorgfältig recherchierte Buch „Die Macht der Moschee –Scheitert die Integration am Islam“ des ehemaligen ARD-Korrespondenten Joachim Wagner entzieht sich dieser Schwarz-Weiß-Einordnung und hebt sich allein durch die Vielzahl an rezipierten und zitierten Befunden, Studien, Statistiken und nicht zuletzt eigenen Erfahrungsberichten wohltuend von der Mehrzahl der anderen Traktate ab, die zu dieser Thematik schon erschienen sind.

Der Buchtitel kleidet die Debatte, ob die Integration am Islam scheitern wird, zunächst in die Frageform, doch man kann nach Lektüre der Kapitel zum Einfluss der Herkunftsländer auf die Zuwanderer, zur Entwicklung von Parallelgesellschaften, zu den kulturellen und religiösen Integrationshemmnissen, den widersprüchlichen Erwartungen auf beiden Seiten und insbesondere zur Überforderung von Schulen durch die ihnen aufgebürdete Integrationsaufgabe das Schlussresümee des Autors gut nachvollziehen: Er sieht die Jahrhundertaufgabe der Integration ohne massive zusätzliche Anstrengungen auf beiden Seiten – wobei Wagner auch die muslimischen Verbände in Pflicht nimmt – tatsächlich kurz vor dem Scheitern.

Was das Buch insbesondere für Lehrkräfte und Bildungsinteressierte so lesenswert macht, ist das zentrale 65-seitige Kapitel über die Schule als Konfliktfeld und Integrationsagentur. Der Autor hat gegen viele Widerstände bis hinauf in die Schulaufsicht einzelner Bundesländer eine Reihe von Schulen selbst besucht und dort mit Schulleitungen, Lehrkräften, Schülern und Eltern gesprochen, an Brennpunktschulen, wo deutsche Kinder eine kleine verschwindende Minderheit sind, aber auch an Schulen mit durchschnittlichen Migrationsanteilen. Die Berichte über diese Begegnungen sind der spannendste Teil des Buchs. Der Autor schreibt selbst darüber: „Die Besuche des Verfassers von 21 Schulen waren Ausflüge in ein multikulturelles Deutschland, das die große Mehrheit der Bevölkerung nur aus dem Fernsehen oder der Zeitung kennt.“

Anhand dieser Besuche erlebt der Leser mit, wie nicht selten eine engagierte Lehrerschaft zwischen Idealismus und Frust verschlissen wird, welche Auswirkungen die Segregation auf die Zuwandererkinder hat, wie schwierig Gewaltpräventionsarbeit in diesem Umfeld ist und welche Auswirkungen der Islam, der Ramadan und verdeckter bis offener Antisemitismus sowie ein konservatives islamisches Frauenbild auf den Schulbetrieb haben.

Es ist kein Zufall, sondern eher ein Zeichen, dass der Autor die Konfliktherde präzise und scharfsinnig benannt und erkannt hat, dass nach Erscheinen des Buchs einige der dort behandelten Themen in den Medien bundesweit aufgrund bestimmter Vorfälle aufgegriffen worden sind, etwa das Mobbing jüdischer Mitschüler, die Tatsache, dass jetzt schon an Grundschulen immer mehr Mädchen mit Kopftuch erscheinen bzw. die Auswirkungen des Fastens auf Schüler während des Ramadans.

Gerade weil man dem Autor abnimmt, dass er ehrlich daran interessiert ist, dass Integration gelingt, sind seine Warnhinweise und Forderungen am Ende des Buchs besonders ernst zu nehmen.

Heinz-Peter Meidinger