Zunahme von sehr guten Schnitten beim Abitur – eine Entwicklung seit Jahrzehnten

DL-Präsident Stefan Düll zu der aktuellen Debatte um Abiture mit Einser-Schnitt: 

Das Bestehen der Abiturprüfungen ist kein Selbstläufer, die Abiturientinnen und Abiturienten haben auch in diesem Jahr hart dafür gearbeitet und gelernt. Aber im Vergleich zu früheren Jahrzehnten beobachten wir eine starke Zunahme an Abituren mit einem Einser-Schnitt. Das betrifft sowohl die Anzahl der Jugendlichen mit einer Note zwischen 1,0 und 1,9 als auch jene mit der Bestnote 1,0, die früher eine absolute Ausnahme war. In den 80er- und 90er-Jahren hatten durchschnittliche Gymnasien 5–10 Absolventen mit einem Schnitt besser als 2,0, heute sind es oft zwei- bis dreimal so viele. Früher stellten Lokalmedien die Gruppe mit einem Schnitt bis 1,9 heraus – heute wird meist nur noch die 1,0 berücksichtigt, um keine ganze Klassenstärke auf dem Foto zu haben.  

Die Ursachen sind vielfältig: In einer Klausur reichen heute bereits 90 % erfüllte Aufgaben für die Note „sehr gut“, zum Bestehen genügen laut KMK-Notenvereinbarung 45 % statt früher 50 %. Zudem wird die mündliche Leistung für die Kursnote am Halbjahresende stärker gewichtet. Schulklassen am Gymnasium sind durch politische Entscheidungen und den Einfluss des Elternwillens heterogener geworden. Benotungen orientieren sich in gewissem Maß auch am Leistungsniveau innerhalb einer Gruppe – dadurch erscheinen Leistungen, die früher als gut galten, heute als sehr gut. Der Maßstab verschiebt sich. 

Das Abitur als allgemeine Hochschulreife soll Studienbefähigung bescheinigen, nicht nur -berechtigung. Studienanfänger müssen Kompetenzen in Textverständnis, analytischem Denken, Argumentation und Schreiben mitbringen. Die angestrebte Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern über gemeinsame Abituraufgaben darf nicht zu einer Orientierung am kleinsten gemeinsamen Nenner führen. Unser Mitgliedsverband DPhV hat sich daher bereits 2023 gemeinsam mit dem Hochschulverband zur Frage des Anspruchsniveaus der gymnasialen Oberstufe geäußert: https://www.dphv.de/2023/10/12/gemeinsam-fuer-die-staerkung-des-abiturs-und-hohe-standards-in-der-lehrkraeftebildung-dphv-und-dhv-ziehen-an-einem-strang/.  

Laut KMK-Statistik – z.B. hier in der Auswertung der Bundeszentrale für politische Bildung graphisch aufbereitet – nehmen die sehr guten Abiture (hier die Noten zwischen von 1,0 bis 1,4 seit 2006) seit Jahrzehnten zu: https://www.bpb.de/themen/bildung/dossier-bildung/518804/mehr-einser-abis-in-deutschland/ Auch das Institut der Deutschen Wirtschaft hat 2019 die Zahlen der KMK für die einzelnen Jahre und Noten ausgewertet und kommt zu dem Schluss, dass sich laut der Statistik der vorliegenden Jahre seit 2006 die Anzahl der sehr guten Abiturnoten gesteigert hat. Für den Schnitt von 1,0 bis 1,9 ist ihre Zahl von 52.566 im Jahr 2006 auf 84.491 im Jahr 2017 gestiegen. Bei der Höchstnote 1,0 waren es 2017 mehr als doppelt so viele Personen wie noch im Jahr 2006: https://www.iwkoeln.de/studien/wido-geis-thoene-immer-mehr-einser-abiturienten-420900.html Auch wenn man das von den absoluten Zahlen auf relative Bevölkerungsanteile und Anteile an den erfolgreichen Abiturprüfungen überträgt, zeichnet sich ein klarer Trend nach oben ab, wie das IW vorrechnet.

Die Zahlen der KMK finden sich unter https://www.kmk.org/dokumentation-statistik/statistik/schulstatistik/abiturnoten.html.

Mathematik-Abitur 2020

Meidinger: „Bundesweiter Aufgabenpool steht kurz vor dem endgültigen Scheitern!“

Nachträgliches Notenlifting beim Mathematikabitur scheine in Deutschland mittlerweile regelmäßige Praxis in einigen Bundesländer zu werden, kritisierte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, die Entscheidung der Schulministerien in Sachsen und Bremen, die Abiturnoten in Mathematik um einen bzw. zwei Punkte anzuheben. Bereits im Jahr 2019 waren in zwei Bundesländern die Abiturnoten nachträglich geschönt worden.

Der Verbandspräsident wies darauf hin, dass es bei der Notenanhebung ausdrücklich nicht um den Ausgleich von coronabedingten Nachteilen ging – dann hätten ja alle Bundesländer Grund gehabt, Abiturnoten anzuheben –, sondern darum, dass die Schülerinnen und Schüler aus diesen  Bundesländern nach Angabe der Ministerien mit Aufgabenformaten aus dem länderübergreifenden Aufgabenpool nicht zurechtgekommen seien. Dazu erklärte Meidinger: „Ganz abgesehen davon, dass jeder nachträgliche, nur in einzelnen Bundesländern vorgenommene Eingriff in die Notengebung zu weiteren Ungerechtigkeiten führt, stellt sich jetzt doch die Frage, was ein länderübergreifender Aufgabenteil wert ist, der eigentlich für mehr Vergleichbarkeit sorgen soll, anschließend aber durch Notenlifting konterkariert wird. Wenn jetzt die Bremer Schulsenatorin ankündigt, dass ihr Bundesland generell den länderübergreifenden Aufgabenpool aussetzt, dann gibt es nur eine Schlussfolgerung: Der Aufgabenpool steht kurz vor dem Scheitern!“

Der DL-Präsident forderte die Kultusministerkonferenz auf, ganz schnell eine Entscheidung darüber zu treffen, wie sie zukünftig ein gerechtes Abitur in Deutschland sicherstellen will, das auf gleichen Maßstäben und auf gleichen oder absolut vergleichbaren Aufgabenstellungen beruht. Dieser Auftrag an die Länder gehe schließlich eindeutig aus dem letzten Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Abitur hervor.

Meidinger betonte abschließend: „Es nutzt wenig, wenn sich die KMK wie auf der letzten Sitzung für die Verabschiedung gemeinsamer Abitur-Bildungsstandards für die Naturwissenschaften feiert, bei der konkreten und praktischen Frage eines bundesweit vergleichbaren, gerecht benoteten Abiturs aber regelmäßig versagt.“

—————-

Für Stellungnahmen erreichen Sie DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger unter 0160 – 52 75 609.

Für den Inhalt verantwortlich: Geschäftsstelle Deutscher Lehrerverband – Anne Schirrmacher

Zum Vorstoß der baden-württembergischen Kultusministerin Eisenmann

Für ihren Vorstoß zur mittelfristigen Einführung eines bundesweit geltenden Zentralabiturs hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, die baden-württem­bergische Kultusministerin Susanne Eisenmann gelobt und die Politik aufgefordert, endlich zu handeln, um Vergleichbarkeit und Qualität des Abiturs in Deutschland wiederherzustellen. Er freue sich, dass damit ein Vorschlag des DL aufgegriffen worden sei.

Er betonte: „Spätestens nach den Vorgängen rund um das Matheabitur 2019 und der Fest­stellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Abiturnoten in Deutschland derzeit nicht vergleichbar sind, besteht dringender Handlungsbedarf, wenn man das Abitur als entscheidende Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland retten will.“ Der Verbandsvorsitzende verwies darauf, dass das Modell des gemeinsamen Aufgabenpools, der die Vergleichbarkeit sichern sollte, praktisch gescheitert sei und fügte an: „Ein Aufgabenpool, der es erlaubt, dass Länder sich gar nicht daraus bedienen bzw. daraus entnommene Aufgaben abändern und der es sogar ermöglicht, dass nachträglich in die Bewertung von Aufgaben aus dem Pool eingegriffen wird, ist das Papier nicht wert, auf dem diese Aufgaben geschrieben stehen!“

Die einzige logische Konsequenz könne nur lauten, statt eines Aufgabenpools gemeinsame Prüfungen in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache anzustreben und diese auch nach gleichen Erwartungshorizonten zu bewerten, so Meidinger. Jenseits dieser Kernfächer dürfe es durchaus weiter Spielräume für landeseigene Schwerpunktsetzungen geben.

Er ergänzte: „Dafür müssen in einem Staatsvertrag zwischen den Ländern klare Vereinbarungen und ein fester Zeitplan entwickelt werden. Wegen der in den Ländern notwendigen Anpassungen u.a. der Lehrpläne halte ich das Zieldatum 2025 bis 2030 als Termin für das erste deutschland­weite Zentralabitur für möglich und realistisch!“

Im Gegensatz zu Frau Eisenmann glaubt der DL-Präsident allerdings, dass auch ein Nationaler Bildungsrat bei der angestrebten Staatsvertragslösung ein hilfreicher Partner sein könnte.

Als Grundbedingung eines Zentralabiturs am gleichen Tag in Kernfächern bezeichnete es Meidinger, dass diese Vereinheitlichung nicht auf Kosten der Qualität erfolgen dürfe. Er gehe allerdings davon aus, dass bei gleichen Bedingungen die Qualität der Abiturienten aus den verschiedenen Bundesländern auch gerechter beurteilt und klarer sichtbar werden könne.

„Weiterwursteln mit den Aufgabenpools wie bisher würde bedeuten, dass das Abitur seine Bedeutung und seine Funktion bei der Studienzulassung verlieren wird. Hochschuleingangs­prüfungen als Alternative bringen aber mit Sicherheit weder mehr Vergleichbarkeit noch mehr Qualität und schon gar nicht mehr Bildungsgerechtigkeit!“ sagte der DL-Präsident abschließend.

—————-

Für Stellungnahmen erreichen Sie DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger unter 0172 – 28 45 840.

Für den Inhalt verantwortlich: Geschäftsstelle Deutscher Lehrerverband – Anne Schirrmacher

Nach Eingriffen in das Mathe-Abitur durch Hamburg und das Saarland:

Nach der Aufwertung der Ergebnisse der Mathe-Abiturprüfungen im Saarland und der Entscheidung Hamburgs, Verbesserungen des Mathe-Abiturs durch mündliche Prüfungen zuzulassen, hat der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, harte Kritik an der mangelnden Vergleichbarkeit des deutschen Abiturs geübt. Er betonte: „Das Konzept der Kultusministerkonferenz, das Abitur in Deutschland in den Kernfächern Deutsch, Fremdsprache und Mathematik durch Aufgabenpools vergleichbarer zu machen, ist komplett gescheitert. Welchen Sinn haben Aufgabenpools, wenn einzelne Bundesländer diese nicht in Anspruch nehmen bzw. eigenmächtig nachträglich in Abiturbewertungen eingreifen, um vermutete Nachteile für ihre Landeskinder zu vermeiden? Leider hat sich die kürzlich vom Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem sogenannten Medizinerurteil geäußerte Kritik an der mangelnden Vergleichbarkeit der Landeszentral-abiturprüfungen als vollkommen berechtigt herausgestellt.“

Der Verbandsvorsitzende betonte, dass er den Abiturienten, die jetzt begünstigt würden, zwar die besseren Noten gönne. Allerdings seien jetzt diejenigen Prüflinge benachteiligt, deren Landesregierungen dem Druck der Onlinepetitionen nicht nachgegeben hätten. Er fügte an: „Es ist zu befürchten, dass wir es zukünftig jedes Jahr wieder mit einer Flut von Onlinepetitionen zum Schwierigkeitsgrad verschiedener Abiturprüfungen samt anschließend differierender Reaktionen betroffener Bundesländer zu tun bekommen werden. Von vergleichbar konzipierten und bewerteten Abiturprüfungen sind wir weiter entfernt denn je.“

Abschließend erneuerte der DL-Präsident seinen Vorschlag bzw. seine Forderung, mittelfristig beim Abitur in den Kernfächern deutschlandweit an denselben Tagen die exakt gleichen Abiturprüfungen zu schreiben und diese anhand exakt gleicher Erwartungshorizonte zu bewerten. Anderenfalls – so Meidinger – sei es nur eine Frage der Zeit, wann das Abitur seine Funktion bei der Studienfachzulassung verliere. Die dann drohenden generellen Hochschuleingangsprüfungen würden aber mit Sicherheit nicht zu mehr Vergleichbarkeit und Bildungsgerechtigkeit führen, sondern zu noch weniger.

—————-

Für Stellungnahmen erreichen Sie DL-Präsident Heinz-Peter Meidinger unter 0172 – 28 45 840.

Für den Inhalt verantwortlich: Geschäftsstelle Deutscher Lehrerverband – Anne Schirrmacher