von Heinz-Peter Meidinger
Es gab schon immer Quer- und Seiteneinsteiger an deutschen Schulen. Was die heutige Situation davon unterscheidet, ist die Tatsache, dass der Seiten- oder Direkteinstieg von Lehramtsbewerbern ohne jegliche pädagogische Vorbildung in einigen Bundesländern wie Sachsen und Berlin zum Regelfall geworden ist, aber auch sonst zahlenmäßig stark ansteigt.
Den Seiteneinstieg unterscheidet vom Quereinstieg, dass man hierbei vom ersten Tag der Anstellung an eigenverantwortlich unterrichtet und die pädagogisch-fachdidaktisch-methodische Ausbildung – wenn überhaupt – berufsbegleitend erfolgt. Man stelle sich einmal vor, wenn dies in anderen Berufsfeldern Praxis wäre:
Im Krankenhaus werden Sie von Menschen behandelt, die sich berufsbegleitend qualifizieren, Sie sitzen im Flugzeug und werden von Seiteneinsteiger-Piloten geflogen oder Sie haben einen Gerichtstermin, bei dem der Richter kein juristisches Staatsexamen hat.
Unvorstellbar? Beim Lehrerberuf offensichtlich nicht.
Offensichtlich sind viele Landesregierungen der Ansicht, das, was man in 5 Jahren Studium, mit einer Reihe von Praktika während des Studiums und in einem 18- bis 24-monatigen Referendariat an professionellem Lehrerwissen und an Handlungskompetenzen erwirbt, sei auch „berufsbegleitend“ in wenigen Monaten nachholbar. Dabei ist diese Einschätzung grundfalsch, was übrigens auch die hohen Abbrecherzahlen von Seiteneinsteigern und die teilweise verdoppelten Durchfallerzahlen bei den nachgeholten pädagogischen Examensprüfungen zeigen.
Seiteneinsteiger sind willkommene Nothelfer bei dem in vielen Bundesländern selbstverschuldeten massiven Lehrermangel insbesondere an Grundschulen, weil die dortigen Regierungen nicht oder zu spät auf steigende Geburtenraten und stark anwachsende Zuwanderung reagiert haben. Deshalb haben die zuständigen Ministerien in der Regel ein hohes Interesse daran, dass die „Neulehrkräfte“ von Anfang an viele Unterrichtsstunden geben und ein geringen Interesse daran, die potenziellen Seiteneinsteiger auf ihre Eignung hin zu überprüfen, beispielsweise, ob dahingehend, ob diese überhaupt eine besondere Affinität zu Kindern besitzen.
Die berufsbegleitende Ausbildung fristet dagegen sowohl stundenmäßig als auch qualitativ – wegen des Mangel an qualifizierten Seminar- und Ausbildungslehrkräften – meist ein Schattendasein. Für die Seiteneinsteiger stellen deshalb diese ersten beiden Jahre eine systembedingte massive Überforderung dar. Weder haben sie die Zeit und das Wissen, sich ordentlich auf den Unterricht vorzubereiten, noch die nötigen Freiräume sowie das Reflexionsvermögen, von der berufsbegleitenden Lehrerausbildung zu profitieren.
Natürlich kann man auch als Seiteneinsteiger im Lehrberuf erfolgreich sein, – kein Zweifel.
Allerdings erfordert dies bestimmte Grundvoraussetzungen:
- Das absolvierte Studium sollte, auch wenn es kein Lehramtsstudium war, zumindest einen fachlichen oder pädagogischen Bezug zur Lehrertätigkeit aufweisen.
- Es erfolgt eine pädagogisch-didaktisch-methodische Nachqualifizierung, die wenn sie schon nicht in einem Referendariat besteht, dann zumindest qualitativ ebenbürtig ist.
- Der Anteil von Seiteneinsteigern an einer Schule darf nicht zu hoch sein, so dass in der Einstiegsphase erfahrene Lehrkräfte diese etwa in Form von Tandems persönlich unterstützen und coachen können.
- Es muss bereits bei der Prüfung der Bewerbung darauf geachtet werden, dass es sich um Personen handelt, die genügend Motivation mitbringen und die – sehr wichtig – auch die deutsche Sprache sehr gut beherrschen. In Berlin hat die frühere Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, Frau Giffey, erst vor wenigen Monaten darüber geklagt, dass das bei einer Reihe von Seiteneinsteigern im Grundschullehramt erkennbar nicht der Fall sei.
Es wird gerne die Frage gestellt, was die Alternative zu Seiteneinsteigern sei, schlechter Unterricht sei doch noch immer besser als ausgefallener.
Dies ist wohl auch die heimliche Begründung dafür, dass bei Seiteneinsteigern viele bisher gültigen Qualitätsstandards in den Bundesländern heimlich über Bord geworfen wurden.
Die grundsätzliche Alternative ist jedoch eine langfristige Bedarfsplanung, was den Lehrerbedarf und den Ausbau der Lehramtsstudienplätze an Hochschulen betrifft. Die kurzfristige Forderung muss aber sein, die Qualität der berufsbegleitenden Nachqualifizierung deutlich zu steigern und das derzeitige Unterrichtsdeputat für Seiteneinsteiger massiv abzusenken.
Heinz-Peter Meidinger